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Genehmigungsurkunde

für den Bau und Betrieb einer elektrischen Straßenbahn in Lörrach

 

§ 1

Aufgrund des Gesetzes vom 23. Juni 1900, das Genehmigungsverfahren bei Eisenbahnanlagen betreffend, sowie des § 29 des Straßengesetzes vom 14. Juni 1884 wird der Stadtgemeinde Lörrach im Einvernehmen mit dem Großh. Ministerium des Jnnern die Staatsgenehmigung erteilt, auf den in § 2 bezeichneten Straßenstrecken eine elektrische Bahn nach Maßgabe der am 24. Februar und 12. Mai l.J. vorgelegten Pläne zu erbauen und zu betreiben.

§ 2

Die Bahn dient ausschließlich der Personenbeförderung. Sie steht im Zusammenhang mit den Basler kantonalen Straßenbahnen und führt von der deutsch-schweizerischen Landesgrenze auf der Basler Landstraße und der Thurmstraße bis zum Bahnhofsvorplatz in Lörrach.

Sie ist von der Landesgrenze bis zum Gasthaus zum Hirschen zweigleisig, mit Ausnahme der Strecke vom Haus Strohmeier bis zur Baumgartnerstraße. Hier kann der zweigleisige Ausbau erst nach Verbreiterung dieses Straßenstück es erfolgen.

Vom Gasthaus zum Hirschen bis zum Bahnhof ist die Bahn eingleisig mit den nötigen Ausweichen und Doppelgleisen.

Die Spurweite beträgt 1,0 m, die Wagenbreite bis 2,2 m.

Die Stromzuleitung ist oberirdisch, die Betriebsspannung in Mittel 600 Volt.

§ 3

Für die technische Leitung der Bau und Betriebsverwaltung hat die Gemeinde einen Bevollmächtigten zu bestellen, der für die Geschäftsführung, soweit sie der staatlichen Beaufsichtigung unterliegt, der Staatsaufsichtsbehörde verantwortlich ist.

Über die Bestellung dieses Bevollmächtigten ist der Staatsaufsichtsbehörde Anzeige zu machen.

§ 4

Der Abstand einer Gleisaxe von der nächsten Gehwegkante muß mindestens 1,35 m, der Abstand der Axen von Parallelgleisen mindestens 2,70 m betragen.

§ 5

Der Staatsaufsichtsbehörde bleibt vorbehalten: die Genehmigung aller für den Betrieb der Bahn bestimmten baulichen Anlagen und Einrichtungen, die Feststellung der erforderlichen Zahl und Beschaffenheit der Betriebsmittel.

Eine Fertigung der der Bauausführung zugrunde zu legenden Pläne ist der Staatsaufsichtsbehöröe zur Überwachung der Ausführung zu behändigen.

Zur Errichtung von Gebäulichkeiten und Dampfkesselanlagen oder zu Änderungen an Wasserläufen ist außerdem die vorgeschriebene polizeiliche Genehmigung einzuholen.

§ 6

Die näheren Bestimmungen über den Umfang und die Art der Benutzung der öffentlichen Wege sowie über die Bedingungen hierfür werden von der Straßenaufsichtsbehörde gemäß § 29 des Straßengesetzes festgestellt. Die Straßenaufsicbtsbehörde ist befugt, auch späterhin, wenn die Verhältnisse es erfordern sollten, die von Anfang an getroffenen Bestimmungen abzuändern oder zu ergänzen.

Die Benützung der von der Straßenbahn eingenommenen Straßenflächen bleibt dem gewöhnlichen Straßenverkehr vorbehalten, soweit nicht durch polizeiliche Bestimmungen Beschränkungen festgesetzt sind.

An den Eigentumsverhältnissen der öffentlichen Wege wird durch die Mitbenutzung zum Bahnbetrieb nichts geändert.

§ 7

Zur Anlage der Straßenbahn vor dem badischen Staatsbahnhof in Lörrach und der Haltestelle Stetten-Lörrach sowie wegen der Mitbenützung der Straßenunterführung unter der Bahn Leopoldshöhe - Lörrach hat die Gemeinde Lörrach die Zustimmung der Gr. Generadirektion der Staatseisenbahnen einzuholen.

Für die Sicherung der Anlagen der Reichstelegraphenverwaltung sind die Bestimmungen der Reichsgesetze vom 6. IV. 1893 und vorm 18. XII. 1899 maßgebend.

§ 8

1.) Wegen des zollamtlich zu überwachenden Verkehrs auf der Bahn werden von der Gr. Badischen Zollverwaltung besondere Vorschriften erlassen, die, soweit sie für die Reisenden Bedeutung haben, von der Betriebsunternehmerin in allen Wartehallen und in den Fahrzeugen gut sichtbar anzubringen sind. Soweit zur Zollabfertigung besondere Räume nötig sind, wird sie die Betriebsunternehmerin auf ihre Kosten in der von der Gr. Badischen Zollverwaltung bezeichneten Weise herstellen, ausstatten und unterhalten.

Ebenso wird die Betriebsunternehmerin die Stelle vor dem Zollamte, wo die Straßenbahnwagen anhalten, in der Länge von zwei Wagen auf beiden Seiten der Gleise pflastern lassen und ständig sauber halten.

Auch wird die Betriebsunternehmerin im übrigen dafür sorgen, daß die zollamtlichen Vorschriften vollzogen werden können und Beachtung finden.

2.) Die Unternehmerin haftet für die Geldstrafen, Zollgefälle und Prozeßkosten, die etwa ihre Angestellten und Bevollmächtigten wegen Verletzung der zollgesetzlichen oder Zollverwaltungsvorschriften zu entrichten haben werden.

Außerdem ist die Unternehmerin verpflichtet, Bedienstete, die wegen Vergehen gegen die Zollgesetze oder Zollverwaltungsvorschriften bestraft sind, auf Verlangen der Zollverwaltung im Betriebe innerhalb des deutschen Zollgebietes nicht mehr au verwenden.

3.) Badischen Zollbeamten ist auf dem von ihnen gewählten Platze freie Fahrt zu gewähren, wenn sie sich durch eine behördliche Bescheinigung als im Dienste befindlich ausweisen.

§ 9

Die Unternehmerin ist auch nach Eröffnung der Bahn zur Änderung der Anlage verpflichtet, sofern und soweit die Staatsaufsichtsbehörde eine solche im Jnteresse des Verkehrs oder der Sicherheit des Bahnbetriebs oder des Straßenverkehrs für geboten erachtet.

§ 10

Gegen die künftige Anlage von Kanälen, Schutzdämmen, öffentlichen Wegen und anderen Bahnen, die auf Anordnung oder mit Genehmigung der Gr. Regierung ausgeführt werden sollen und entweder die elektrische Straßenbahn kreuzen oder in ihrer Nähe herzustellen sind, steht der Unternehmerin der Straßenbahn weder eine Einsprache noch eine Entschädigungsforderung zu. Es soll jedoch tunlichst darauf Rücksicht genommen werden, daß durch solche Anlagen der Betrieb der Straßenbahn nicht gehindert und die Unternehmerin nicht in Unkosten versetzt wird.

Die Gr. Regierung wird eine weitere Genehmigung zum Betrieb einer Straßenbahn auf den in § 2 beschriebenen Strecken ohne Zustimmung der Unternehmerin nicht erteilen. Dagegen hat die Unternehmerin auf Verlangen der Staatsaufsichtsbehörde den Besitzern anderer Straßenbahnen oder Gewerbebahnen (Industriegleisen und dergl.) den Anschluß an ihre Strecken und die Mitbenützung derselben bis auf einer Länge von 300 m zu gestatten. Die für diese Mitbenutzung zu zahlende Entschädigung wird mangels gütlicher Vereinbarung durch die Staatsaufsichtsbehörde festgesetzt.

§ 11

Die Eröffnung des Betriebs oder die Eröffnung der Benützung von Erweiterungen der Bahnanlagen und von wesentlichen Änderungen der Betriebseinrichtungen darf erst erfolgen, wenn sämtliche Anlagen und Einrichtungen durch die Staatsaufsichtsbehörde geprüft und den Bedingungen entsprechend gefunden worden sind.

§ 12

Die Fahrpläne der Straßenbahn sind der Staatsaufsichtsbehörde jeweils nach der Feststellung und vor Beginn der Wirksamkeit vorzulegen. Sie sind in ortsüblicher Weise bekannt zu machen.

Der Staataaufsichtsbehörde bleibt die Genehmigung der Tarife sowie ihre Abänderung vorbehalten.

Die Tarife und deren Abänderungen sind von der Unternehmerin spätestens mit der Einführung, Tariferhöhungen oder sonstige Erschwerungen der Beförderungsbedingungen aber mindestens 4 Wochen vor diesem Zeitpunkt bekannt zu geben.

§ 13

Der Staatsaufsichtsbehörde bleibt vorbehalten, festzusetzen, in welchem Umfange den beim Bahnbetrieb angestellten Bediensteten die Sonntagsruhe und an Werktagen Arbeitspausen zu gewähren sind.

§ 14

Beim Betrieb der Bahn sind die im Jnteresse der Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs erlassenen oder noch ergehenden Polizeivorschriften genau zu befolgen.

Die Gemeinde ist. für jeden Schaden, welcher der Straßenbauverwaltung und bei Berührung von Gemeindewegen der betreffenden Gemarkungsgemeinde durch den Bau oder den Betrieb der Bahn zugefügt wird, haftbar und ersatzpflichtig.

Der staatlichen Straßenbauverwaltung und der beteiligten Gemarkungsgemeinde ist es unbenommen, auch nach Herstellung der Straßenbahn bauliche Ausbesserungen und Veränderungen an den von der Bahn benützten Straßen und ihren Zugehörden oder an den in denselben befindlichen Dohlen, Wasser- und Gasleitungen, Telegraphenleitungen, Baumpflanzungen und dergleichen vorzunehmen, ebenso neue Anlagen dieser Art zu errichten oder Dritten solche Änderungen, Verbesserungen und Neuanlagen, insbesondere auch Eisenbahnanlagen zu gestatten, ohne daß der Gemeinde wegen vorübergehender Störung des Bahnbetriebs oder etwa nötig werdender Änderungen an der Bahnanlage ein Entschädigungsanspruch zusteht; jedoch soll bei der Ausführung solcher Arbeiten darauf Rücksicht genommen werden, daß eine Unterbrechung des Bahnbetriebs tunlichst vermieden wird. Vor Ausführung dieser Arbeiten soll die Gemeinde rechtzeitig verständigt werden, und der Entwurf der Neuanlagen, Abänderungen usw., insoferne eine Gefährdung der Bahnanlage oder des Bahnbetriebs in Frage kommen könnte, schon vor Festlegung des Plans oder vor Gestattung derartiger Arbeiten an Dritte, der Bahnverwaltung zur Äußerung der etwa zum Schutz der Straßenbahn geltend zu machenden Bedingungen mitgeteilt werden.

§ 15

Wird durch Arbeiten der vorstehend erwähnten Art der Bahnbetrieb auf einer gewissen Strecke vorübergehend unmöglich gemacht, so kann die Unternehmerin auf eigene Kosten und unter Beobachtung der im Jnteresse des öffentlichen Verkehrs zu erlassenden Vorschriften eine Hilfsbahn anlegen.

Wenn bei Feuersbrünsten, Festlichkeiten, Aufzügen oder sonst aus verkehrspolizeilichen Gründen der Betrieb der Bahn ganz oder teilweise eingestellt wird, so erwächst hieraus der Unternehmerin kein Anspruch auf Entschädigung.

Die Unternehmerin ist verpflichtet, die elektrischen Leitungen, sofern es (z.B. bei Brandfällen) von der Polizei oder Feuerwehr verlangt wird, stromlos zu machen oder streckenweise zu beseitigen, ohne daß ihr hierwegen gegen die Staatsverwaltung ein Anspruch auf Entschädigung zusteht.

§ 16

Die während der ganzen Dauer der Genehmigung erforderlichen Erneuerungs- und Unterhaltungsarbeiten der Bahn samt Zubehör hat die Unternehmerin in der Art zu bewirken, daß die Bahn und das Betriebsmaterial sowie die elektrischen Leitungen und die Einrichtungen für die Krafterzeugung sich stets in gutem Zustande befinden.

Sollte die Gemeinde den ihr von der Staatsaufsichtsbehörde gegebenen Vorschriften nicht in allen Teilen pünktlich nachkommen, so ist die Staatsaufsichtsbehörde berechtigt, die zur betriebssicheren Erhaltung der Bahn sowie zum Schutz und zur Jnstandhaltung der Straßen ihr notwendig erscheinenden Arbeiten auf Rechnung der Gemeinde ausführen zu lassen.

§ 17

1.) Die Unternehmerin hat auf Verlangen der Reichspostverwaltung mit jeder für den regelmäßigen Beförderungsdienst bestimmten Fahrt einen Postunterbeamten mit einem Briefsack und, soweit der Platz reicht, auch andere zur Mitfahrt erscheinende Unterbeamte in Dienst gegen Zahlung der Abonnementsgebühr oder, falls solche nicht besteht, der Hälfte des tarifmäßigen Personengeldes zu befördern.

2.) Die Postverwaltung ist berechtigt, auf ihre Kosten an den Bahnwagen einen Briefkasten anbringen und dessen Auswechslung oder Leerung an bestimmten Haltestellen bewirken zu lassen.

§ 18

Die Unternehmerin ist verpflichtet, nach den Bestimmungen der Staatsaufsichtsbehörde die zu statistischen Zwecken für nötig erachteten Nachweisungen auf ihre Kosten zu beschaffen und in den festgesetzten Fristen vorzulegen.

§ 19

Die der Staatsaufsichtsbehörde zugewiesenen Befugnisse werden vom Gr. Ministerium der Finanzen und. den von ihm bestellten Organen ausgeübt.

Soweit die Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs sowie der Schutz und die Jnstandhaltung der von der Bahn benützten oder mit ihr in Berührung stehenden Teile des Straßenkörpers in Frage kommt, wird die Aufsicht durch die Behörden und Bediensteten der Straßenbauverwaltung geführt.

Die Staatsaufsicht erstreckt sich insbesondere auf die Überwachung und Einhaltung der Genehmigungsbedingungen und der für den Bau und Betrieb erlassenen allgemeinen und besonderen Anordnungen und Polizeivorschriften.

Die mit der Überwachung betrauten Beamten sowie die im Dienst befindlichen Beamten der Polizei und Gendarmerie haben aufgrund der ihnen au erteilenden Ausweiskarte freie Fahrt auf der Bahn anzusprechen.

§ 20

Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften der gegenwärtigen Genehmigung können durch Erkennung von Geldstrafen bis zu 100 M gegen die verantwortlichen Organe der Unternehmerin und nötigenfalls mit Entziehung der Genehmigung geahndet werden.

Die hier vorgesehenen Geldstrafen werden von von dem die Staatsaufsicht führenden Ministerium ausgesprochen; zur Entziehung der Genehmigung ist landesherrliche Entschließung erforderlich.

Diese Entziehung soll erst erfolgen, wenn sie drei Monate zuvor der Gemeinde ausdrücklich angedroht worden ist und diese bis zum Ablauf der Frist den ihr durch die Genehmigung auferlegten Verpflichtungen nicht nachgekommen ist.

§ 21

Die Übertragung der Genehmigung zum Bau und zum Betrieb an eine Gesellschaft oder an einen sonstigen Dritten kann nur mit Genehmigung der Staatsaufsichtsbehörde erfolgen.

§ 22

Die Genehmigung zum Betrieb der eingangs erwähnten Straßenbahnlinie wird auf die Dauer von 50 Jahren, das ist bis zum 51. Dezember 1961, erteilt.

Wird bis zu diesem Termin die Genehmigung nicht erneuert oder einem anderen Unternehmer verliehen, so ist die Unternehmerin auf Verlangen dar Staatsaufsichtsbehörde verpflichtet, auf ihre Kosten die Bahnanlage aus den Straßen zu beseitigen und den Straßenkörper sowie dessen Zugehörden ordnungsgemäß wieder herzustellen.

§ 23

Der Wohnsitz der Unternehmerin hinsichtlich aller Rechtsverhältnisse, welche aus dieser Genehmigung oder zu ihrem Vollzug getroffenen Vereinbarungen und Anordnungen entspringen, ist Lörrach.

Gegen die Anordnungen der Straßenaufsichtsbehörde steht der Unternehmerin die Beschwerde an das Ministerium der Finanzen zu.

Karlsruhe, den 28. Februar 1912

Großherzogliches Ministerium der Finanzen

Gez. Unterschrift

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