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DIE STILLLEGUNG DES PERSONENVERKEHRS

Ob die Wehratalbahn von Schopfheim nach Säckingen ein Fehlbau war, darüber läßt sich streiten.

Da sie in erster Linie für strategische Zwecke gebaut wurde, kann sie als Fehlinvestition angesehen werden, zumal die ganzen Umgehungsbahnen zu dicht an der Grenze verliefen.

Sie errang auch im Ersten und Zweiten Weltkrieg nicht die Bedeutung für Truppentransporte, die man bei der Planung angenommen hatte. Verkehrsgeografisch und volkswirtschaftlich lag sie im Konkurrenzkampf zu der Strecke Basel-Konstanz, dem sie in keiner Weise gewachsen war.

Der Vorteil war, daß diese Bahnlinie für die Badischen Staatsbahnen deshalb so billig war, weil das Reich einen Zuschuß von 95% zahlte. Die Badischen Staatsbahn hatte daher nur ein Anlagekapital von 5% aufzubringen.

Trotzdem rentierte sich die Strecke Schopfheim-Säckingen schon vom ersten Jahr ihres Bestehens an für die Badische Staatsbahn nicht, wie folgende Tabelle zeigt:

Jahresberichte über die Eisenbahnen und die Dampfschiffahrt im Großherzogtum Baden
Jahre 1890 bis 1899

Jahr
Verwendetes Anlagekapital in Mark
(Bahn, Gelände, Betriebsmittel, Fahrmaterial)

 

Einnahmen
Mark

 

Ausgaben
Mark
Defizit
1890
798 586
61 394
87 361
25 967
1891
823 830
89 092
111 806
22 714
1892
782 878
83 047
110 035
26 988
1893
804 615
89 020
104 970
15 950
1894
846 375
93 942
116 333
22 391
1895
834 655
104 080
124 993
20 913
1896
805 996
103 381
111 356
7 975 *
1897
768 147
103 442
109 572
6 130 *
1898
761 356
111 201
117 295
6 094 *
1899
746 351
110 064
118 173
8 109 *

* = Rückgang des Defizits nur deshalb, weil der allgemeine Verkehr zunahm

Schon in den ersten zehn Jahren, also mitten im "Eisenbahnzeitalter" machte die Strecke Verluste.

Wie mochten diese Verluste erst nach den sechziger Jahren ausgesehen haben? Aufzeichnungen hierüber sind nicht erhältlich.

Man kann zur Zeit folgende Meßwerte zugrundelegen, die die Wirtschaftlichkeit in Frage stellen, falls sie unterschritten werden:

Im Personenverkehr 1000 Reisende (Quotient aus Reisendenkilometer zu Streckenkilometer) im werktäglichen Durchschnitt der Zähltage und im Güterverkehr 2500 abgefertigte Tonnen im Jahr je Kilometer Betriebslänge.

Das Mindestsoll an Tonnen wäre 2500x19,7 km = 49.250 Tonnen/Jahr, die auf der Strecke hätte befördert werden müssen. Eine Zahl, die von der Wehratalbahn nie erreicht wurde.

Somit konnte diese Strecke nur erhalten werden, wenn derjenige den Rest bezahlt, der ein Interesse an ihr hatte. Dies war von Anfang an das Militär.

Die Badische Staatsbahn und ihre Nachfolger begannen deshalb schon frühzeitig mit Einsparungen.

Die Station Fahrnau/Tunnel verlor bereits Ende 1906 ihren Fahrdienstleiter und wurde 1911 von einer Billettausgabestelle in einen Haltepunkt zurückgestuft. Ab 1. August 1923 konnte in Fahrnau T. keinGepäck und Expressgut mehr aufgeliefert werden.
Seit 1. Mai 1924 ist Fahrnau T geschlossen.

Die Bahnmeisterei Wehr wurde 1915 aufgehoben.

1924 wurde der Bahnhof Brennet/Wehratal geschlossen und erst wieder geöffnet, als die Gemeinden einen jährlichen Kostenzuschuß von 1200 Mark zahlten.

Der Bahnhof Hasel wurde ab 1961 in einen unbesetzten Haltepunkt umgewandelt.

Der Bahnhof Öflingen verlor ab 1965 den Wagenladungsverkehr. 1966 wurde Öflingen in einen Haltepunkt mit Agentur umgewandelt.

Anfang der sechziger Jahre wurde die mittlerweile 50 Jahre alte Oberleitung komplett erneuert. Den Oberbau allerdings ließ man immer mehr verkommen.

Einzige Investition war die Erneuerung des Gleises im Fahrnauer Tunnel. Und dieses wurde wohl auch nur deshalb erneuert, weil es für eventuelle Transporte von Panzerfahrzeugen leicht verschoben werden musste.

Mitte der sechziger Jahre fanden auf den Strecken Weil am Rhein - Lörrach - Schopfheim - Säckingen - Waldshut - Lauchringen übrigens Versuchs- und Messfahrten mit verschiedenen Panzer-Typen statt.
Als Ergebnis dieser Messfahrten entstanden dann bei der DB auch die
"Vorbereitete Beförderungsbedingungen für Lü-Sendungen (= Sendungen mit Lademass-Überschreitung) und schwere Sendungen im Militärverkehr". Zeitgleich entstanden damals auch vorbereitete Fahrpläne, der so genannte Z-Plan.

Auf dem Rest der Strecke nahmen die Langsamfahrstellen, teilweise mit 10 km/h, immer mehr überhand.

Die Bahn wartete auf das Geld des Verteidigungsministeriums und der NATO, welche (als Folge des Baus der Berliner Mauer am 13.8. 1961) immer noch die Hauptinteressenten der Strecke waren.

(Mit solchen Geldern wurde auch die seit 1955 gesperrte Strecke zwischen (Weizen) - Lausheim-Blumegg und Zollhaus-Blumberg, heute Museumsbahn, ab 1962 wieder betriebsfähig hergerichtet.)

Inzwischen hatte sich die Lage in Berlin aber wieder beruhigt. Außerdem machte die moderne Militär-Strategie die Grenz-Umgehungsbahnen überflüssig.

Die Wehratalbahn fiel unter den Investitionsstopp und wurde zur beabsichtigten teilweisen Stilllegung in den III. Stufenplan aufgenommen, der vorsah, daß die Strecke Schopfheim - Wehr ganz und auf der Strecke Wehr - Säckingen der Personenverkehr still gelegt würde.

Allein die zahlreichen Fahrgäste, welche die Wehratalbahn hauptsächlich im Berufs- und Schülerverkehr benutzten, sind schuld, dass sich die Stilllegung bis ins Jahr 1971 verzögerte. Der Schreiber dieser Zeilen erinnert sich, dass bereits im Jahre 1967 fast täglich der Zugrevisor in den Berufszügen mitfuhr, um die Fahrgäste zu zählen.
"Es fahren immer noch zu viele Leute mit, wir können noch nicht still legen", meinte er.
Um den Fahrgästen das Umsteigen vom Zug auf den Bus schmackhaft zu machen, ließ man diesen dann (meist in den Fahrzeiten der Züge) parallel zur Bahn fahren. Zudem wurden weitere Bushaltestellen eingerichtet.

Am Mittwoch, dem 22. Februar 1967 wurde in allen Reisezügen der Bundesbahndirektion Karlsruhe eine umfangreiche Reisendenzählung durchgeführt. Anhand der dabei ermittelten Daten wurde eine Streckenbelegungskarte erstellt.

Die Wehratalbahn schnitt bei dieser Zählung recht gut ab.

Streckenabschnitt
Kilometer
Anzahl Züge
Gesamtzahl Reisende

Durchschnitts-besetzung
je Zug

Prozentuale
Besetzung
je Zug
Schopfheim - Wehr
9
7
415
59
23
Wehr - Säckingen
11
7
577
82
30
Säckingen - Wehr
11
7
539
77
30
Wehr - Schopfheim
9
7
376
53
21

Alleine zwischen Wehr und Säckingen benutzten demzufolge täglich über 1100 Reisende die Bahn. In der Zählung nicht berücksichtigt sind die Fahrgäste, welche den parallel zur Bahn verkehrenden Bahnbus benutzten.

Die Deutsche Bundesbahn hatte dann am 24. Mai 1968 dem Innenministerium des Landes Baden-Württemberg mitgeteilt, daß sie im Rahmen des dritten Stufenplanes auf der Hauptbahnstrecke Schopfheim - Säckingen folgende Stilllegungen durchzuführen beabsichtigte:

Die dauernde Einstellung des Gesamtbetriebes auf dem Streckenabschnitt Schopfheim-Wehr, die dauernde Einstellung des Reisezugbetriebes auf dem Streckenabschnitt Wehr -Säckingen und die Umwandlung dieses Abschnittes in eine Nebenbahn.
Die Züge sollen durch Busse ersetzt werden.

 

Diese hatten in der Zwischenzeit bei der Bevölkerung bereits großen Anklang gefunden. Dies wohl zwangsläufig, sie hielten meist in der Nähe der Haustüre.

Zudem verkehrten die Busse meist durchgehend von Schopfheim über Säckingen nach Waldshut und zurück. Wenn man zum Beispiel mit dem Zug aus Richtung Schopfheim in Säckingen ankam, und von dort in Richtung Waldshut weiter wollte, hatte man meist Anschluss an einen Bus, der ebenfalls von Schopfheim kam. Was lag da näher, als in der Ortsmitte von Wehr gleich in den Bus zu steigen, anstatt zuerst den reletiv weiten Fußweg zum Bahnhof zu nehmen!

Das Innenministerium verständigte die Gemeinden, Industrie, Handelskammer usw. Alle lehnten natürlich eine Stilllegung ab. Selbst die ortsansässigen Firmen waren gegen eine Stilllegung. Von einer Bezahlung der Unkosten oder Verlagerung von Gütern von der Straße auf die Schiene sprach allerdings niemand.

Nachdem das Innenministerium Baden-Württemberg die Stilllegung aus verkehrspolitischen Gründen ablehnte, glaubte die Gemeinde Wehr, die Bahnlinie sei gerettet. Dies sollte keineswegs der Fall sein. Der Oberbau der Strecke wurde immer schlechter und keiner wollte die errechneten Ersatzinvestitionen von 2.271.000 DM leisten. Die NATO brauchte die Strecke nicht mehr, die Bahn konnte sie sich aus wirtschaftlichen Griinden nicht leisten.

Das Land und die Gemeinden plädierten zudem für einen Ausbau der Straße Wehr-Öflingen, welchen ebenfalls die Allgemeinheit zu tragen hatte.

Letzter Fahrplan der Wehratalbahn (Winterfahrplan 1970/71)

Im Jahr 1971 war es dann endgültig so weit. Die Strecke war abgewirtschaftet, die zahlreichen Langsamfahrstellen machten eine schnelle Entscheidung erforderlich.
Wie prekär die Situation damals war, zeigt eine vom damaligen Bundesbahn-Betriebsamt in Basel zum 15. März 1971 erstellte
Übersicht der Langsamfahrstellen auf der Wehratalbahn.

 

Am 15. März 1971 kam vom Bundesminister für Verkehr die fernmündliche Zustimmung, daß zum 23. Mai 1971 die Stilllegungsmaßnahmen durchgeführt werden können.

Am 3. Mai 1971 erließ die Bundesbahndrirektion in Karlsruhe die Stilllegungsverfügung.
Hier ein Auszug daraus:

"Betreff: Überprüfung des Leistungsangebotes der DB im Sinne einer volkswirtschaftlich optimalen Verkehrsbedienung;
hier: Hauptbahnstrecke Schopfheim - Säckingen.

Der Herr Bundesminister für Verkehr hat mit Erlass vom 30. März 1971 - E 7 Baü 5417 Bb 69 - für die Hauptbahnstrecke Schopfheim - Säckingen
a) auf Grund des § 14(3) BbG
(=Bundesbahn-Gesetz) die dauernde Einstellung des Gesamtbetriebes der Teilstrecke Schopfheim - Wehr (Baden) und des Reisezugbetriebes der Teilstrecke Wehr (Baden) - Säckingen sowie
b) auf Grund des § 1(2) EBO (=Eisenbahn-Bau-und Betriebsordnung) die Umwandlung der Teilstrecke Wehr (Baden) - Säckingen in eine Nebenbahn genehmigt.
Mit Verfügung vom 21. April 1971 - 38.381 (Kar) 3 - hat die HVB (=Hauptverwaltung der Bundesbahn) die Maßnahme angeordnet.
Der Reiseverkehr auf der Strecke Schopfheim - Säckingen wird zum Fahrplanwechsel am 23. Mai 1971 vollständig auf Omnibusbedienung umgestellt.
Das Erforderliche ist im gegenseitigen Benehmen zu veranlassen.
Die dauernde Einstellung des Güterzugbetriebes auf der Teilstrecke Schopfheim - Wehr sowie die Umwandlung der verbleibenden Teilstrecke Wehr (Baden) - Säckingen in eine Nebenbahn erfolgt zu einem späteren Zeitpunkt.

Die zuständigen Bürgermeisterämter und Landratsämter, die IHK, die örtliche Presse usw. bitten wir von der Umstellung des Reisezugverkehrs zu unterrichten. gez. Günthert

Die Mitteilung, daß ihre ablehnende Haltung nicht gefruchtet hatte, traf die betroffenen Gemeinden "wie der Blitz aus heiterem Himmel".

Sämtliche Abgeordneten des Wahlkreises wurden kurzfristig eingeschaltet, um die Stilllegung noch zu verhindern.

Aber helfen konnte oder wollte keiner mehr. Die Zeit war eben verpaßt.

Am 22. Mai 1971 fuhr der letzte Personenzug N 4891 mit einem geschmückten und überfüllten ET 485 um 18.10 Uhr von Säckingen nach Schopfheim!

Seitens der Deutschen Bundesbahn waren natürlich keinerlei Abschiedsfeierlichkeiten vorgesehen. Sang- und klanglos sollte der Reisezugverkehr auf dieser Strecke verschwinden!

Hätten sich nicht die Schüler des Gymnasiums und der Handelsschule in Säckingen, sowie die Eisenbahnfreunde Wehratal e.V. für den Abschied arrangiert, wäre dieses Stück Wehrer Geschichte , vor 81 Jahren mit großen Feierlichkeiten eingeleitet, ohne viel Aufhebens abgeschlossen worden.

Den vorgesehenen Fahrplan konnte der letzte Zug allerdings nicht einhalten. Er war hoffnungslos überfüllt, weil die normalerweise mitlaufende zweite Triebwageneinheit bereits gegen Mittag ihren Geist aufgab und ins Betriebswerk nach Freiburg geschleppt werden musste.

Unterwegs gab es noch verschiedene Einlagen:
Am Bahnübergang Wp 12 a "Günnenbach" stoppte die Schrankenwärterin den Zug auf offener Strecke, um dem Lokführer einen Blumenstrauß zu überreichen. Und in Öflingen verabschiedete sich in die dortige Bahnagentin recht herzlich vom letzten Zug
Nur wenige Bürger waren in Wehr erschienen, um Abschied zu nehmen. In Wehr läuteten bei der Ankunft des letzten Reisezuges zwar die Kirchenglocken, aber nicht zum Abschied, sondern weil sie gerade den Sonntag einläuteten.
Zum Abschied läutete nur der Schreiber dieser Zeilen, er stand damals, mit einer Kuhglocke in der Hand, neben Lokführer Moths auf dem Führerstand.
Die Ankunftsverspätung in Schopfheim betrug dann schlussendlich gute 30 Minuten und Zugführer Max Vögelin meinte: "Ich schreibe als Verspätungsbegründung in den Fahrtbericht ganz einfach "allerletzte Fahrt!""
Abschiedsfoto am 22. Mai 1971 in Schopfheim:
Einige Mitglieder der Eisenbahnfreunde Wehratal e.V.
Foto: © W. Schepperle

Abfahrbereit zur letzten Runde:
N 4890 am 22. Mai 1971 in Schopfheim

Foto: © W. Schepperle
N 4890 am 22. Mai 1971 in Schopfheim
Foto: © Roland Haas

22.Mai 1971 am Bahnhof Wehr:
N 4890 abfahrbereit nach Säckingen
Foto: Archiv Eisenbahnfreunde Wehratal e.V.
Der letzte Reisezug Richtung Säckingen:
N 4890 verlässt am 22. Mai 1971 den Bahnhof Wehr.
Foto: Archiv Eisenbahnfreunde Wehratal e.V.
Viele Leute waren zur Verabschiedung des letzten Zuges in Öflingen erscheinen.
Der Zug hat bereits 16 Minuten Verspätung
Foto: © Roland Haas
Nur wenige Bürger nahmen in Wehr Abschied vom letzten Reisezug
N 4891 am 22. Mai 1971 abfahrbereit nach Schopfheim
Foto: © R. Gerber
Stillgelegt im Alter von 82 Jahren!
Foto: © W. Schepperle
Ein letzter Gruß - jetzt gehts zu Fuß!
Ankunft des letzten Reisezuges aus Säckingen im Bahnhof Schopfheim
Lokführer Moths präsentiert den Trauerflor
Foto: © W. Schepperle
Die letzte Fahrkarte

Der Entwurf für den Sommerfahrplan 1971. Er wurde wegen der Stilllegung nicht mehr benötigt.
Slg. H. Uttner

Und wie es mit dem Personenverkehr nach dem 22. Mai 1971 weiter ging, erfahren Sie hier!

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