12. Juni 2004

Auf ihre mutige Tat stand der Tod

Sieben Männer sind beim Bau des Haseler Eisenbahntunnels gestorben und haben ihr Leben für seine Rettung riskiert. Der Tunnel war zur Sprengung vorbereitet, durch die deutsche Wehrmacht am 24. April 1945. Foto: Hilbrecht

Ein Kommando der Wehrmacht wollte am 24. April 1945 den Haseler Eisenbahntunnel vor den anrückenden Franzosen sprengen. Der Elektriker Walter Kettner erfuhr am Vormittag von dem Plan durch das Bahntelefon der Fahrleitungsmeisterei in Schopfheim. Der Anruf brachte einen Fall von Widerstand ins Rollen, bei dem drei Bahnarbeiter sich mit ihrem Leben vor den Tunnel stellten. Thomas Hebding hat den Bericht von Walter Kettner im Archiv der ehemaligen Interessengemeinschaft Wehratalbahn. Walter Kettner gab die Nachricht an seine Kollegen, den Lokführer Emil Fritz und den Kraftfahrer Hermann Sutter. "Wir waren bestürzt", berichtet Walter Kettner: "Wir haben beschlossen, unter allen Umständen diese Wahnsinnstat zu verhindern." Die Männer dachten nicht daran, dass sie dafür standrechtlich erschossen werden konnten. Hermann Sutter fuhr den alten Bahnbus. Die Sprengkammer im First des Haseler Tunnels war bekannt, von Hasel her rund 100 Meter vom Eingang entfernt. Denn die Fahrleitungsmeisterei betreute die elektrischen Oberleitungen der Strecke. Die Männer waren kopflos aufgebrochen. Vor dem Tunnel trafen sie das Sprengkommando an. "Da war guter Rat teuer", berichtet Walter Kettner. "Was habt Ihr hier zu suchen?", herrschte sie ein Wehrmachtsoffizier an: "Verschwindet sofort!" In ihrer Not erfanden die Bahnarbeiter eine haarsträubende Geschichte. "Ungeheurer Schaden für die Wiesentalbahn" würde entstehen, wenn die Männer vor der Sprengung nicht das elektrische Trennmesser im Tunnel öffnen konnten. Mit 15000 Volt in der Oberleitung über ihren Köpfen, malten sie ein Bild von Explosionen und Bränden im ganzen Wiesental. "Das stimmte natürlich alles nicht", gab Walter Kettner zu. Aber die Bahner mussten in den Tunnel und setzten auf die Ahnungslosigkeit der Soldaten. Es gelang. Aber in der Eile hatten die drei nur eine Drahtzange in die Hosentasche gesteckt, keine Taschenlampe und keine Leiter. Doch sie fanden den Sprengschacht. Hermann Sutter war der Stärkste, nahm Emil Fritz auf die Schulter und Walter Kettner kletterte an beiden hoch. Er fand das Sprengkabel und schnitt es einfach durch. "Wir wollten uns mit dem Bahnbus davon machen", berichtet Walter Kettner weiter. Aber die Soldaten hatten Verdacht geschöpft. Es brauchte wieder Überzeugungskraft, bis sie endlich fahren durften. "Es war eine große Erleichterung für uns drei", berichtet Walter Kettner. Denn jetzt erst dämmerte es den Bahnarbeitern: Auf ihre Tat stand der Tod. "Wir haben Glück gehabt", stellt Walter Kettner fest. Zurück in Schopfheim, trafen sie ihren Werkstattleiter Walter Faller, der 1951 bis 1972 als Abgeordneter im Bundestag das Wiesental vertrat. Er bestätigte die Geschichte in seinem Bericht. Alle vier beschlossen eine neue Fahrt im Bahnbus, den Franzosen entgegen. Ihre Panzer rückten gegen Hausen vor. Jeder Widerstand der deutschen Soldaten hätte die Zivilbevölkerung mitten in den Krieg geworfen. Tatsächlich hörten die deutschen Soldaten auf die Bahner und warfen ihre Waffen weg. Dann stießen sie in ihrem Bus auf die Franzosen. "Für uns war der Krieg zu Ende", schloss Walter Faller seinen Bericht. Aber die Bahnarbeiter wussten nichts von Gustav Jost (1892 bis 1967). Der Zimmermann aus Hasel war im 1. Weltkrieg Pionier und Sprengmeister und im 2. Weltkrieg beim Tunnelsprengkommando. Dieser Mann hatte schon am 23. April die Sprengleitung außerhalb des Tunnels gekappt. Er riskierte noch einmal die Erschießung, als er am 24. April die weiße Fahne auf den Haseler Kirchturm setzte. Sonst hätten die Franzosen das Höhlendorf mit ihren Panzern bombardiert. Doch vor der Kirche stand noch die SS mit dem Befehl, jeden zu erschießen, der sich ergab. Gustav Jost überlebte. Vier Männer hatten unter Einsatz ihres Lebens den Haseler Tunnel gerettet, bei dessen Bau schon sieben Männer ihr Leben verloren hatten.

Bis 1971 rollten noch die Züge hindurch. Heute ist der Tunnel ein geschütztes Industriedenkmal.
Heinz Hilbrecht

Lesen Sie hier auch den Bericht über die Tat von Gustav Jost

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