Die Elektrifizierung
der
Wiesen - und Wehratalbahn
Vorgeschichte
Um das Jahr 1900 hatte die Elektrifizierung der Straßenbahnen in den größeren Städten einen gewissen Abschluß erreicht. Nach deren vielversprechenden Ergebnissen begann man nun, sich mit der Einführung des elektrischen Zugbetriebes auf Vollbahnen und Vollbahn-ähnlichen Nebenbahnen zu befassen. Besonders die Länder weit ab von den Kohlevorkommen suchten eine Möglichkeit zur wirtschaftlicheren Gestaltung ihres Bahnbetriebes.
Die Badische Staatsbahn hatte sich den elektrischen Strom schon frühzeitig für ihre Zwecke nutzbar gemacht. So wurde der Personenbahnhof Karlsruhe schon 1883 mit elektrischer Beleuchtung versehen. Alsbald auch die übrigen Teile des Karlsruher Bahnhofs und allmählich hielt die elektrische Beleuchtung auch auf den größeren Bahnhöfen Einzug.
Außerdem benutzte man den elektrischen Strom in steigendendem Maße für die Kraftübertragung, zum Teil verdrängte er die Dampfkraft. Die maschinellen Kraftanlagen der Häfen Mannheim und Karlsruhe bedienten sich des elektrischen Stroms; besondere bahneigene Elektrizitätswerke wurden hierfür geschaffen.
Die reichen Wasserkräfte von Hochrhein und Schwarzwald hatten die ehem. Großherzogliche Staatsbahn schon früh bewogen, über die Vorteile der elektrischen Zugförderung auch ihrer Bahnstrecken zugute kommen zu lassen.
Der Frage der Einführung eines elektrischen Vollbahnbetriebes trat die Großherzogliche Generaldirektion der Staatseisenbahnen Anfang 1903 erstmals näher, als sich die Möglichkeit eröffnete, von einem bei Laufenburg am Hochrhein geplanten Wasserkraftwerk mit 30000 PS Leistung Strom zu beziehen.
Für den elektrischen Betrieb kamen die Hochrheinstrecke Basel - Singen sowie die Wiesentalbahn von Basel nach Zell im Wiesental und die Wehratalbahn von Schopfheim nach Säckingen in Betracht.
Außerdem lag es nahe, auch den Bahnhof Basel aus dem gleichen Kraftwerk mit Strom zu versorgen.
Eine nähere Überprüfung der gegebenen Verhältnisse ergab jedoch, daß die Zuführung des Stroms mittels einer Hochspannungs-Fernleitung von 47 km Länge ab dem ganz auf Schweizer Gebiet liegenden Kraftwerk erhebliche Kosten verursacht hätte.
Angesichts des damaligen Standes der Technik war auch eine so weitgehende Ausnutzung der Wasserkraft wie heute noch nicht möglich, so daß die Wirtschaftlichkeit des Bahnbetriebes nicht gesichert erschien. Die Eisenbahnverwaltung zog es deshalb vor, zunächst eine abwartende Stellung einzunehmen.
Als jedoch Ende des Jahres 1903 das Großherzogliche Ministerium des Innern die Frage nochmals ansprach und dabei besonders hervorhob, daß von dem auf Baden entfallenden Anteil am Laufenburger Strom ein auch nur einigermaßen konstanter Absatz an die Privatindustrie nicht zu erwarten sei, nahm nun die Großherzogliche Generaldirektion bereits Anfang 1904 die Einführung des elektrischen Betriebes nur auf der Wiesentalbahn und auf der Wehratalbahn in Aussicht.
Die zuvor geäußerten Bedenken hielt man nun für überwunden. Man glaubte, daß bei dieser Strecke, die keine durchgehende Linie darstellte, aber einen vergleichsweise dichten Verkehr aufwies, die Verhältnisse für eine elektrische Betriebsweise günstig seien, obwohl bei den bis dahin bekannten Systemen ein wirtschaftlicher Erfolg damit nicht erwartet werden konnte.
Versuchsfahrten mit einem elektrischen Triebwagen bei Zossen im Jahre 1903 hatten hinsichtlich der Frage der Wirtschaftlichkeit des elektrischen Betriebes keine Fortschritte gebracht; sie sollten jedoch lediglich den Nachweis der Möglichkeit außergewöhnlich hoher Geschwindigkeiten beim elektrischen Betrieb erbringen.
So mußte die Badische Staatsbahn ihre eigenen Versuche durchführen.
Vergleiche mit der seit 1899 Drehstrom-betriebenen Burgdorf-Thun-Bahn, der 1902 in Betrieb genommenen Veltlin-Bahn sowie der im Jahre 1901 von der italienischen Mittelmeerbahn-Gesellschaft eröffneten gemischten Drehstrom-Gleichstrom-Bahn von Mailand nach Porto Ceresio machten deutlich, daß, abgesehen von technischen Schwierigkeiten, ein Strombezug aus Laufenburg zu unwirtschaftlich gewesen wäre. Daneben befürchtete man im Spannungsfalle Unterbrechungen der Stromversorgung, da das Kraftwerk Laufenburg ganz auf dem Gebiet der neutralen Schweiz lag.
Das Kraftwerk in Rheinfelden war 1898 in Betrieb gegangen und lieferte Strom für 3 chemische Betriebe sowie die umliegenden Gemeinden. Es war voll ausgelastet und kam somit für die Lieferung von Strom für die Staatsbahn nicht in Frage.
Neue Pläne sahen die gemeinschaftliche Errichtung von badischen und schweizerischen Wasserkraftwerken bei Rheinau und Augst-Wyhlen vor. Um die Konzession des in 5 km Entfernung von Basel projektierten Kraftwerks Augst-Wyhlen hatten sich die Kraftübertragungswerke Rheinfelden gemeinschaftlich mit dem Kanton Basel-Stadt beworben. Danach sollten am badischen und am Schweizer Ufer Turbinenanlagen genau gleicher Ausführung von je 16000 PS Leistung installiert werden. Da der Strombezug aus Augst-Wyhlen hierfür am vorteilhaftesten war, bot sich die Wiesentalbahn hier zur Elektrifizierung an.
Das Kraftwerk Augst-Wyhlen ging im Jahre 1912 in Betrieb.
Der Eigentümer, die Kraftübertragungswerke Rheinfelden, sagte die Lieferung des für die Wiesentalbahn benötigten Stroms zu; zu diesem Zwecke sollte der Eisenbahnverwaltung eine Turbine von 1040 kW zur Verfügung stehen. Die Unterhaltung der Turbine sollte dem Kraftwerk obliegen; im Falle eines Ausfalles sollte eine Reserveturbine eingesetzt werden. Als Entschädigung für die pachtweise Überlassung der Turbine war mit 120000 Mark jährlich ein recht günstiger Zins vorgesehen.
Unter diesen günstigen Bedingungen zog die Badische Staatsbahn zunächst folgende Strecken für die Einführung des elektrischen Betriebes in Erwägung:
Basel - Zell im Wiesental mit 29,4 km,
St. Ludwig - Leopoldshöhe (Weil) - Lörrach mit 6,3 km
Schopfheim - Säckingen mit 19,7 km
zusammen also 55,4 km Streckenlänge, auf denen ein gleichbleibender Verkehr zu erwarten war. Auch aus betrieblicher Sicht boten sich diese Abschnitte für den Versuchsbetrieb an.
Um die Wirtschaftlichkeit des Projektes zu prüfen, wurden auf der Grundlage des Winterfahrplans 1903/1904 die Kosten des bisherigen Dampfbetriebes ermittelt. Diese Untersuchungen erstreckten sich auf die Kosten des Brennmaterials, für Verzinsung, Amortisation und Unterhaltung der Lokomotiven, Kosten des Lokpersonals, von Schmier- und Putzmaterial, des Kesselwaschens, Anheizens der Dampfloks, des Speisewassers und der Zugbeleuchtung.
Die angeführte, etwa 6 km lange Strecke Leopoldshöhe- St. Ludwig wurde zu jener Zeit gemeinschaftlich mit der Wiesentalbahn betrieben, so daß sie ebenfalls in die Untersuchung einbezogen wurde, doch fand später eine Ausscheidung ihrer Kosten statt. Für den elektrischen Zugbetrieb kam diese Strecke nicht in Betracht, weil sie ab Rheinmitte bis St. Ludwig auf elsässischem Gebiet lag und auch von Elsaß-Lothringen unterhalten wurde.
An Dampflokomotiven wurden 12 Kursmaschinen (11 für den Kursdienst, eine zum Kesselwaschen) und 5 Reservemaschinen, zusammen also 17 Loks, angesetzt. Die Kosten dafür betrugen Lt. Untersuchung:
1. Kosten für Kohle 119624,77 Mark
Kosten für Holz 1398,22 Mark 121022,99 Mark2. Verzinsung, Amortisation und Unterhaltung für 17 Lokomotiven der Gattung VI b
a)Verzinsung des Anlagekapitals von 1026800 Mark zu 3 3/4 % = jährlich 38500 Mark
b) Abschreibung bei einer Einsatzzeit von 32 Jahren für 17 Maschinen = jährlich 17400 Mark
c) Unterhaltungskosten = jährlich 77044 Mark
Summe: 130988 Mark3. Für den regelmäßigen Dienst auf der Wiesentalbahn wurden 22 Mann Lokpersonal eingeteilt, hinzu 4 weitere für Sonderleistungen; Gesamtkosten für 26 Mann: 127920 Mark jährlich
4. Schmiermaterial = 2266 Mark
5. Putzmaterial = 6488 Mark
6. Kesselwaschen und Anheizen der Lok = 9265 Mark
7. Speisewasser = 3309 Mark
8. Zugbeleuchtung = 4863 Mark
Zusammen ergibt sich ein Jahresaufwand von 406122 Mark, von dem jedoch die Kosten der nicht mehr in die Elektrifizierungsplanung einbezogenen Strecke Leopoldshöhe - Lörrach in Höhe von 42600 Mark abzuziehen sind, so daß ein Gesamtaufwand von 363522 Mark im Jahr bleibt.
Bei Einführung des elektrischen Betriebes sollte die bisherige Betriebsweise möglichst wenig Änderung erfahren. Die Zuggeschwindigkeiten wurden daher im wesentlichen beibehalten, an Stelle der Dampflok trat die elektrische Lokomotive, der aber nicht nur die Zugförderung, sondern auch der Verschubdienst auf den Bahnhöfen zufallen sollte, was die Elektrifizierung auch aller Neben- und Anschlußgleise erforderlich machte.
Um den Strombezug so wirtschaftlich wie möglich zu gestalten, sollte daher die Energieversorgung des geplanten neuen Badischen Bahnhofs in Basel mit einbezogen werden. Zum Ausgleich der Bedarfsspitzen war eine Speichermöglichkeit der elektrischen Energie vorzusehen. SSW arbeitete zwei Projekte aus, eines unter Verwendung von Einphasen-Wechselstrom und ein weiteres mit 3000 V Fahrdrahtspannung. Die AEG hat ein -Einphasen-Projekt vorgelegt, sich aber bei der Kalkulation nicht festlegen lassen. Die von den beiden Firmen eingereichten Kostenvoranschläge für die Einführung des elektrischen Betriebes auf der Wiesentalbahn schlössen mit 2 381 000 Mark bzw. 2 720 000 Mark ab, wobei die AEG ihre Berechnung nur als annähernd bezeichnet hatte. Die jährlichen Betiebskosten waren mit 331 087 bzw. 349 700 Mark angesetzt Verglichen mit den sächlichen Kosten des Dampfbetriebes von 363.522 Mark wurden somit jährliche Einsparungen in Höhe von 32 435 bzw.13 822 Mark bei elektrischem Betrieb errechnet.
Bei diesen Untersuchungen wurde davon ausgegangen, daß der vom Kraftwerk bezogene Strom in einer Unterstation gespeichert wurde, wodurch während des Betriebes ein Ausgleich der Belastungsschankungen zu erzielen war. Ohne eine derartige Einrichtung wäre es unmöglich gewesen, mit einer Turbine von 1 500 PS Leistung den elektrischen Betrieb auf der Wiesentalbahn durchzuführen. Außerdem setzte man voraus, daß die Hälfte des Pachtzinses in Höhe von 120 000 Mark jährlich dem Licht- und Kraftbetrieb des Bahnhofs Basel angelastet wurde. Schließlich wurde noch die Errichtung einer Dampfkraftanlage beim Bahnhof Basel Bad Bf angenommen für die dortige Heizung, die als Reserve sowohl für den elektrischen Betrieb als auch für den Licht- und Kraftbedarf des Bahnhofs verwendet werden konnte.
Bei einer etwa aufkommenden Verkehrssteigerung errechnete sich der elektrische Betrieb weitaus kostengünstiger als der Einsatz von Dampflokomotiven. Bei einer Zahl von sechs weiteren Zügen in jeder Richtung (jährliche Mehrleistung von 91564 Zug-Kilometern)! hätten sich die Kosten für den Dampfbetrieb um 53000 Mark, für den elektrischen Betrieb dagegen nur um 16000 Mark erhöht, was eine weitere Ersparnis von 37000 Mark bedeutet hätte.
Die Badische Staatsbahn kam daher zu folgenden Schlußfolgerungen:
Am 29. Juni 1906 legte das Großherzogliche Badische Ministerium des Großherzoglichen Hauses und der Auswärtigen Angelegenheiten der Zweiten Kammer eine Denkschrift über die Einführung des elektrischen Betriebes auf der Wiesentalbahn vor, die in der 112. Sitzung am 30. Juni 1906 behandelt wurde.