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Die Elektrifizierung

der

Wiesen - und Wehratalbahn

Die "Bemannung" der elektr. Lokomotiven

 

Mit der "Elektrisierung" der Wiesen- und Wehratalbahn wollte man natürlich auch Kosten einsparen. Verschiedene Berechnungen zeigen, wo gegenüber dem Dampfbetrieb gespart werden kann.

Da es damals noch keine "Sicherheitsfahrschaltung" gab, sahen die entsprechenden Vorschriften vor, dass ein Beimann zur Mithilfe bei der Beobachtung der Signale mitfahren musste. Bei plötzlicher Dienstunfähigkeit des Lokführers musste der Beimann auch den den Zug sicher zum Stehen bringen können.

Somit musste außer dem Lokführer immer noch ein Heizer auf der E-Lok mitfahren. Er war während der Heizperiode für die Bedienung des auf der Elektrolok damals noch vorhandenen Dampfheizkessel für die Zugheizung sowie gleichzeitig noch als 2. Mann auf der Lok eingesetzt.

Zwei relativ gut bezahlte Leute auf der Ellok, das konnte für die Bahn natürlich keine Einsparung bedeuten. Und so kam man bei der Generaldirektion Karlsruhe auf die Idee, schon beim probeweisen Bespannen der ersten Güterzüge ab 21. Juni 1913 einen Mann aus den Reihen des Zugpersonals als 2. Mann auf die Lok zu beordern.

Diese Anordnung stieß beim Zugbegleitpersonal (Zugführer, Schaffner und Bremser) natürlich sofort auf Widerstand. Das für das Zugbegleitpersonal zuständige Stationsamt Basel stellte deshalb bereits am 25. Juni 1913 den Antrag, dass der zweite Mann auf der Lok nicht vom Zugpersonal sondern von der Maschineninspektion gestellt wird.

Ab 4. September 1913 wurde der Dienstplan der Bremser geändert. Den Güterzügen wurde ein weiterer Bremser beigegeben, welcher den Lokführer zu unterstützen hatte.

Der Widerstand des Zugpersonals hatte (zumindest vorläufig) Erfolg. Am 1. Oktober 1913 gab die Betriebsinspektion Basel bekannt:

"Es ist die Anordnung getroffen worden, daß vorerst für den Dienst auf den elektr. Lok außer dem Lokführer auch ein Heizer eingeteilt wird. Dem Heizer fällt die Aufgabe zu, die Haupt-, Gleissperr- und Weichensignale sowie die Rangiersignale zu beobachten, also den Lokführer zu unterstützen".

Für die nächsten Jahre herrschte vorläufig wieder etwas Ruhe an der "Bemannungsfront".

Ab 1914 machte man sich Gedanken darüber, die Wagen der elektrisch geführten Züge anstatt mit Dampf künftig mit Strom zu heizen. Da man noch keinerlei Erfahrung mit elektrischer Wagenheizung hatte, fragte man sogar bei der Rhätischen Bahn um Rat nach.

Im Jahr 1922 man dann auf die Idee, den Zugführer als Beimann auf der Ellok einzusetzen, zumindest in der Zeit in der nicht geheizt werden muss. So ordnete die Generaldirektion Karlsruhe der Deutschen Reichsbahn am 19. Mai 1922 folgendes an:

"Betrifft: Bemannung der elektrischen Wiesen- und Wehratalbahnlokomotiven. Die für den Dienst auf der Wiesen- und Wehratalbahn verwendeten elektrischen Lokomotiven sind vom 10.6.22 bis auf weiteres versuchsweise mit einem Lokomotivführer zu besetzen, während der Zugführer als zweiter Mann mitfährt.

Zum Vollzug wird angeordnet:
a) Die elektrischen Lokomotiven sind vor der Ausfahrt aus dem elektrischen Lokomotiv-Schuppen durch besonderes Personal fahrbereit (betriebsfertig) herzurichten. Der Lokomotivführer hat, soweit nötig, unterwegs nachzuölen und die Lokomotive nachzusehen. Im übrigen gelten die Vorschriften in § 19, 20 und 21 der Dienstanweisung für das Lokomotivpersonal (Nr.89). b) Während der Fahrt hat der Zugführer seinen Platz im Führerhaus der elektrischen Lokomotive einzunehmen. Er ist in den Dienst des Lokführers derart
einzuüben, dass er bei plötzlich eintretender Dienstunfähigkeit des Lokomotivführers die Schalterkurbel auf den "Nullpunkt" stellen und den Zug durch Bremsen anhalten kann. Er muß auch beurteilen können, ob die zur Bremsung erforderliche Luft vorhanden ist. Die mündliche und praktische Unterweisung und Prüfung hierüber ist durch die Maschineninspektion Basel vorzunehmen".

Es folgen weitere Weisungen zum Verhalten beim Rangierdienst sowie während der Fahrt. Zudem wurde angeordnet, dass die Stationen beim Rangieren einen geeigneten Bediensteten, der ebenfalls wie der Zugführer einzuüben und zu prüfen ist, in das Führerhaus abzustellen hätten.

Die Betriebsinspektion in Basel schrieb darauf hin alle Stationen an, mit der Bitte um Stellungnahme. Von fast allen traf die Antwort ein, dass ein besonderer Bediensteter nicht gestellt werden könne. So schrieb z.B. Bahnhofsvorstand Asal von Zell i.W. am 26.Mai 1922 nach Basel:

"Bei dem beschränkten Personalstand ist es uns nicht möglich, während des Rangierdienstes einen Stationsbediensteten auf die elektr. Lok abzugeben. Das Rangiergeschäft dauert vormittags 2 1/2 und nachmittags 2 Stunden, bei starkem Verkehr ja bis zu 1 Stunde länger. Während dieser Zeit sind die Arbeiter u.A. durch das Ladegeschäft völlig beansprucht. Es bleibt kein anderer Ausweg, als einen Arbeiter der Bm (= Bahnmeisterei) für den betr. Dienst zu bestimmen"

Als Folge der vielen "Absagen" von den Stationen legte man kurzfristig fest, dass vorerst nur die Personenzüge zwischen Basel und Zell ohne Lokheizer gefahren werden.

Damit man die Dienstpläne der Lokführer nicht mehr ändern musste, wurde mit der "Bemannung" auf Wunsch des Maschinendienstes bereits ab 1. Juni 1922 begonnen.

Es ist verständlich, dass die Zugführer von einer Mitfahrt auf der Lok nicht erfreut waren. Sie versuchten mit allen Mitteln, diesen Dienst nicht verrichten zu müssen.

Auch das Stationsamt Basel Badischer Bahnhof als Dienststelle des Zugspersonals setzte sich für seine Leute ein und schrieb deshalb am 12.06.1922 an die Betriebsinspektion:

"Das jeweilig Verlassen und Wiederbesteigen der Lok zur Besorgung des Gepäck- aus und einladens auf jeder Station wird von den Zf ausser den ständigen Erschütterungen auf der Lok während der Fahrt als sehr anstrengend und ermüdend empfunden. Da die im P (Packwagen) befindlichen Gegenstände während der Fahrt unbewacht sind, lehnen die Zf eine Verantwortlichkeit hiefür ab. Ein direkter Mißstand ist es, wenn Personen, wie Kaminfeger, Fischer mit lebenden Fischen und Fischbrut im P befördert werden müssen, ohne daß sich ein Eisenbahnbeamter in demselben befindet. Bei zunehmendem Gepäck- und Expreßgutverkehr wird es nötig sein, allen diesen Zügen wieder einen Gepäckschaffner beizugeben, wenn der Zf weiter auf der Lok verwendet werden soll. Wenn der Zf bei Güterzügen auf der elektr. Lok mitfahren soll, so müßte den jetzt mit nur 3 Schaffnern ein vierter Sch. (Schaffner), den mit 4 Sch. gefahrenen Gz bei einer Belastung von etwa 60 Achsen ab ein fünfter Sch. beigegeben werden. Auf den Stationen kann der Zf wegen der ihm obliegenden Leitung des Rangierdienstes nicht als 2. Mann auf der Lok mitfahren. Hiezu müßte nach vorheriger Einübung ein Schaffner verwendet werden. Die Einübung der Sch. auf der elektr. Lok, für die 60 Mann in Betracht kämen, müßte an Bereitschafts- bzw. an Ruhetagen oder in Ruhepausen erfolgen, da diese Sch sowohl in Dienstschicht als auch Arbeitszeit bis zur zulässigen Höchstgrenze voll ausgenützt sind."

Preußische Elektrolok EG 503

Die preuß. Elektroloks EG 502 und 503 kamen 1920 von der Strecke Dessau - Bitterfeld zur Wiesen- und Wehratalbahn
Sie erhielten bei der Deutschen Reichsbahn die Baureihenbezeichnung E 70
Verständlich, dass sich das Zugpersonal wehrte, den relativ bequemen Platz im Packwagen gegen einen Platz
auf dieser Maschine zu tauschen.
Foto: Archiv DB

Die Betriebsinspektion in Basel wertete alle von den Stationen und Personalen eingegangenen Einwände aus und berichtete hierüber in einem 3 Seiten umfassenden Schreiben am 15.06.1922 an die Eisenbahn-Generaldirektion in Karlsruhe. Das Schreiben enthält eingangs die oben bereits geschilderten Einwände und fährt wie folgt fort:

"Bisher sind infolge Einführung der Neuerung folgende schwerwiegende Nachteile eingetreten: 1. Bei den Zügen, denen kein Gepäckschaffner mehr beigegeben wird, leidet die Sicherheit der Beförderungsgegenstände durch die Abwesenheit des Zugführers vom Gepäckwagen Not. Einem Dieb, der mit den Verhältnissen vertraut ist, würde es erleichtert, Güter aus dem Gepäckwagen zu entwenden. Es ist besonders auch darauf hinzuweisen, dass sich häufig fremde Personen in den Gepäckwagen aufhalten, wie Begleiter von Kranken, Begleiter lebender Fische, Kaminfeger, Jäger mit Hunden usw. Eine Verantwortlichkeit der Zugführer ist hiernach ausgeschlossen. 2. Auf den Begleitpapieren sollen die Beförderungsvermerke angebracht werden. Dies ist dem Zf, wenn er auf der Maschine stehen soll, nicht möglich. Es ist ihm aber auch nicht möglich, im falle eines Fehlens und der Beschädigung von Gütern auf den Unterwegsstationen die vorgeschriebenen Meldezettel auszustellen. Die geordnete Ausgabe der Dienstschreiben leidet Not. 3. Ohne dem Zuge Verspätung zu bereiten, ist der Zf bei einigem Verkehr ausserstande eine geordnete Übernahme und Übergabe der Beförderungs-gegenstände durchzuführen. Verschleppung von Gepäck und Gütern werden die Folge sein. 4. die in § 15 (2) der Dienstanweisung 87 vorgeschriebene Mitbedienung der Personenwagen ist unmöglich. 5. vom betrieblichen Standpunkt aus ist zu bemängeln, dass der Zf den Verkehr am Zuge im Augenblick des Ingangsetzens des Zuges nicht mehr in der seitherigen Weise überwachen kann. Bei der senkrechten Anordnung der Aufsteigtrittbretter auf die Maschine ist das Erklettern derselben für die Zugf. Bei bewegtem Zug gefährlich. Der Zf muss sich daher vor Ingangsetzen des Zuges auf die Maschine begeben. Von diesem Standort aus hat er aber dann dem Zuge entlang keine gute Aussicht mehr, zurufe der Schaffner sind wegen der Geräusche der Motoren kaum mehr hörbar. 6. Das Besteigen der Maschinen und das Herabsteigen ist insbesondere für die älteren Zf recht beschwerlich. Während der Lokf. Bei Antritt der Fahrt seine Lokomotive besteigt und sie in der Regel auf der Zugendstation wieder verlässt, muss der Zf auf jeder Station von der Lokomotive herunterklettern, zur Entgegennahme des Gepäcks usw. in den Gepäckwagen steigen, diesen dann wieder verlassen und die Lokomotive wieder erklettern. Wenn dann ein solcher Zf drei Zugpaare zwischen Zell und Basel mit 11 Haltstationen begleitet hat, so stellt allein das 66- malige Auf- und Absteigen auf den Stationen eine Anforderung dar, die man billigerweise, von älteren Leuten insbesondere, nicht mehr fordern sollte. Ältere Zugführer die als durchaus diensteifrige und fleissige Leute bekannt sind, haben sich über diese Anforderung bitter beklagt. Die Leute machen die Sache eine Zeitlang mit und dann werden sie genötigt sein, sich krank zu melden. Bei voller Würdigung der Absicht, Ersparnisse zu erzielen, müssen wir nach wie vor unsere Befürchtung, dass die erhofften wirtschaftlichen Vorteile trotz vielseitiger Betriebs- und Verkehrserschwerungen durch anderseitige Mehraufwendungen voll und ganz aufgehoben werden, zum Ausdruck bringen. Die Hauptschwierigkeiten werden sich erst bei Ausdehnung der Neuerung auf die Güterzüge - ohne welche es nur eine halbe Massnahme wäre - zeigen. Es unterliegt auch keinerlei Zweifel, dass schon in allernächster Zeit infolge zunehmenden Verkehrs die zurück-gezogenen Gepäckschaffner wieder eingesetzt werden müssen Die Wegnahme des Zugf. von seinen eigentlichen Aufgaben zum Dienst auf der Lok ist nur unter schwerster Schädigung der verkehrsdienstlichen Interessen, die offenbar unterschätzt werden, und unter Beeinträchtigung der betrieblichen Sicherheit des Personals und der Reisenden (Zif. 5 und 6 oben) möglich und sollte daher alsbald wieder rückgängig gemacht werden."

Abschriften des vorstehenden Schreibens gingen an die Maschineninspektion und an das Bw in Basel und Haltingen sowie an die Stationen Basel Bad Bf, Lörrach, Schopfheim, Zell und Säckingen mit der Bitte um Bericht über weitere Beobachtungen bis 15.07.22. Am 30.06.22 wurde auch noch ein Schreiben der "Fachgruppe II des Verkehrspersonals in Basel (Zf)" (entspricht etwa der heutigen Gewerkschaft) an die Direktion nachgereicht mit der Bitte um baldige Entscheidung. Die angeschriebenen Stationen berichteten pünktlich zum 15.7. und stellten sich einhellig hinter das Schreiben der Betriebsinspektion an die Direktion.

Aus Säckingen wurde berichtet, "dass die Anordnung auf der Wehratalbahn noch nicht zur Durchsetzung kam" und deshalb die Erfahrungen fehlen.

"Wir stimmen aber Ihren allgemeinen Ausführungen über diese Frage vollständig bei und halten eine Beiziehung des Zf zum Lok-Dienst auch auf der Wehratalbahn nicht für zweckmäßig und wirtschaftlich," schrieb der Säckinger Stationsvorsteher nach Basel.

Erstaunlich, wie vehement sich zur damaligen Zeit die Leitung der Betriebsinspektion Basel für ihr Personal eingesetzt hat. Die heutigen "Bahnoberen" könnten sich ein gutes Beispiel daran nehmen.

Die Generaldirektion in Karlsruhe wartete allerdings keine weiteren Schreiben mit Einwendungen mehr ab und schickte ihre Antwort bereits am 14.7.1922 nach Basel. Die Antwort der Deutschen Reichsbahn, Eisenbahn-Generaldirektion Karlsruhe an die Betriebsinspektion in Basel war niederschmetternd:

"In den angezogenen Berichten wird beantragt, die ab 1.6.1922 von den elektr. Personenzuglok der Wiesentalbahn versuchsweise zurückgezogenen Lokomotivheizer wieder einzuteilen.
Die vorgetragenen Gründe sind nicht derart schwerwiegend, dass dem Antrag entsprochen werden kann.
Die zu befürchtenden Anstände lassen sich vermeiden oder wenigstens auf ein erträgliches Mass beschränken.
Die Personenzüge laufen von Basel bis Zell und zurück in der Regel unverändert durch; ihre Rangierbewegungen können als einfach angesehen werden; es genügt daher, wenn der Rangierleiter seinen Platz so wählt, dass ihn der Lokführer gut beobachten kann, zumal er sich vorher über die auszuführenden Bewegungen mit dem Lokführer verständigen muss. Wenn ausnahmsweise grosse Umstellungen nötig sind, dann soll der Zugführer auf der Lok bleiben. Die Einübung der Schaffner auf der elektr. Lok kann daher unterbleiben.
Zu den unter 1-6 des Berichts vom 15.6.22 aufgeführten Nachteilen ist zu bemerken: Der Zugführer muss, um Entwendungen von Gütern aus dem Gepäckwagen vorzubeugen, die wenigen in den P Mitreisenden beim Ein- und Aussteigen den veränderten Verhältnissen entsprechend scharf beobachten, den Packraum gegen das Zugführerabteil abschliessen und die Wertsachen wenn nötig in diesem Abteil unterbringen, soweit er sie nicht bei sich mitführen kann. Die Begleitpapiere können auf der sauberen elektr. Lok ebenso wie in P geführt werden. Von der geordneten Übergabe und Übernahme der Beförderungsgüter darf sich der Zugführer dadurch, dass er statt im P auf der unmittelbar davor laufenden Lok mitfährt, nicht abhalten lassen. Aus dem gleichen Grund ist auch die Mitbedienung der vorderen Wagen nicht wesentlich erschwert, soweit sie überhaupt in Frage kommt. Die Abfahrt der Züge erfolgt erst dann, wenn die Schaffner den Zugführer verständigt haben, dass der Zug "fertig" ist.
Die elektr. Lok fahren langsam an, so dass das Besteigen der Lok rechtzeitig erfolgen kann und für die Sicherheit des Zugführers keine Gefahr bildet. Der Zug kann von der elektr. Lok aus ohne Gefahr gut übersehen werden. Die Zugführer sind durch die Mitfahrt auf den elektr. Lok nicht genötigt, mehr auf und abzusteigen, als wenn sie im P mitfahren, wenn auch zugegeben werden muss, dass das Auf- und Absteigen bei den elektr. Loks etwas beschwerlicher als bei den Packwagen ist.
Ob bei den im Wiesental verkehrenden Unterwegsgüterzügen die einmännige Besetzung wirtschaftlich ist, wird noch geprüft.
Wir ersuchen auf das sachgemässe Zusammenarbeiten und die gegenseitige Unterstützung des Zugpersonals hinzuwirken. Der Versuch soll bis zum Eintritt der Heizperiode fortgesetzt werden."

Die Betriebsinspektion in Basel ließ von vorstehendem Schreiben der Generaldirektion Abschriften fertigen und diese an die Bahnhöfe Basel, Lörrach, Schopfheim, Zell und Säckingen sowie an die Maschineninspektion in Basel verteilen, mit der Bitte, den Anweisungen der Direktion Folge zu leisten und über erhebliche Anstände zu berichten.

Die Basler Betriebsinspektion beobachtete die Situation aufmerksam und konnte sich mit der Verordnung der Direktion einfach nicht anfreunden. In Zusammenarbeit mit der Maschineninspektion Basel wurde ein neuerlicher Vorstoß gegen die Maßnahme der Obrigkeit unternommen. Am 3. 9. 1922 ging ein neues, geharnischtes Schreiben nach Karlsruhe:

"Bei allem Bestreben, den Betrieb möglichst wirtschaftlich zu gestalten, müssen wir auch heute noch den Standpunkt beibehalten, den wir in unserem Bericht vom 15.6.22 eingenommen haben.
Man kann bei einfachen Verhältnissen einem Bediensteten zweierlei Tätigkeiten auferlegen; es ist möglich, einem Zugführer bei schwachem Verkehr den Gepäckdienst mitzuübertragen, ihn aber ausserdem noch als Bediensteter auf der Maschine zu verwenden, ihm also dreierlei Aufgaben zuzuweisen, geht zu weit!
Wir müssen nach objektiver Prüfung nochmals betonen, dass die Wegnahme des Zf von seinen eigentlichen Dienstaufgaben nur unter Schädigung der betrieblichen und verkehrlichen Interessen erfolgt ist."

Weiter wird in dem Schreiben darauf hingewiesen, "dass auf der Wiesen- und Wehratal sehr starker Personen- und Güterverkehr herrscht und dass durch die Erhöhung der Posttarife für Pakete der Expressgutverkehr zunehme und dadurch keinesfalls einfache Verhältnisse vorliegen".
Zudem wurde nochmals darauf hingewiesen, dass bei unbewachtem Packwagen schon des Öfteren Gepäck und Expressgüter gestohlen oder auch aus dem fahrenden Zug geworfen wurden.

(Auf eine Rückfrage der Direktion nach derartigen Fällen konnten allerdings keine solche Fälle namhaft gemacht werden, man wies aber darauf hin, dass infolge der Teuerung (Inflation) mit zunehmenden Diebstählen von Beförderungsgut zu rechnen sei.)

Als weiteres Argument gegen die Maßnahme wurde angeführt, dass der Platz auf dem Führerpult der elektr. Loks nicht ausreicht, um dort die nötigen Eintragungen in die Beförderungspapiere zu machen, ja bei fahrender Lok infolge der starken Schwankungen ein Schreiben gänzlich unmöglich sei. Ausserdem wurde nochmals betont, dass
"diese Kletterei für unsere älteren Zugführer eine Anforderung darstellt, die anscheinend sehr unterschätzt wird" Weiter wird festgestellt, dass "eine einmännige Besetzung der elektr. Personenzuglok völlig ausreichend ist und die Arbeitskraft des zweiten Mannes in keiner Weise ausgenützt werden kann. Man sollte prüfen, ob es technisch möglich wäre, zwischen dem Gepäckwagen und der elektr. Lokomotive eine Übergangsbrücke zu schaffen, damit der Zf auch während der Fahrt vom Gepäckwagen zur Lok und zurück gelangen kann."

Ab Oktober 1922 begann die Heizperiode, und der Lokheizer fuhr wieder als 2.Mann auf der elektr. Lok mit, so dass an der "Bemannungsfront" wieder etwas Ruhe einkehrte. Dies änderte sich aber schnell wieder, als das Frühjahr 1923 nahte.

Die Maschineninspektion Basel machte die Mitteilung, dass ab 1.Mai 1923 sämtliche Lokomotiven der Wiesen- und Wehratalbahn wieder einmännig besetzt werden, und man wegen der Zuteilung der Zugführer das Weitere veranlassen solle.

Das Bahnbetriebswerk Basel teilte der Betriebsinspektion mit, dass ab 1.Mai 1923 bei der Zugsausrüstung der Wehratalbahn jeweils in Schopfheim und Säckingen die Umstellung des Packwagens hinter die Lok erforderlich wird, um dem Zugführer die Aufsicht über den Gepäckwagen von der Lok aus zu ermöglichen. Diese Mitteilung wurde dann auch an die Stationen Schopfheim und Säckingen weitergereicht.

Vom Stationsamt Schopfheim wurde geantwortet, dass die Umstellung der Packwagen dort möglich sei. Dagegen schrieb das Stationsamt Säckingen am 19.4.1923 nach Basel:

"Wir können die Umstellung des Gp hier nicht übernehmen, weil die Umstellungszeit zu knapp ist und weil meist 4 Züge, beim derzeitigen Umleitungsverkehr (der Raum Offenburg war zu dieser Zeit durch französisches Militär besetzt) manchmal noch mehr im Bahnhof stehen (mehr Züge als Betriebsgleise), so dass schwere Betriebsstörungen und Verspätungen zu gewärtigen wären".

Am 14.04.23 wurde vom Stationsamt in Basel eine "Aktenbemerkung" gefertigt. In dieser wird über erneute Verhandlungen mit dem Beamtenrat berichtet. (Der Beamtenrat war eine Art Vorläufer des Betriebsrates.) Dieser hat erneut seine Bedenken gegen die Verwendung der Zf als Beobachter auf der Lok zum Ausdruck gebracht und gefordert, dass auf der Wehratalbahn entweder ein weiterer Packwagen mitgeführt wird oder der Packwagen an den Endbahnhöfen jeweils umgestellt wird. Weiterhin hat der Beamtenrat angeregt, dass die Bedienung der Gepäckwagen durch einen besonderen Gepäckschaffner "eine wohlwollende Prüfung erfährt". Abgelehnt wurde vom Beamtenrat auch der Vorschlag, unter den Zugführern eine Altersgruppe zu bilden, und diese vom Dienst auf der Wiesen- und Wehratalbahn auszuschließen. Begründet wurde die Ablehnung damit, dass bereits alle Personenzug-Zugführer das 50. Lebensjahr erheblich überschritten hätten und nicht mehr als jüngere Zf angesehen werden könnten. Am 24.04.23 wurde für die Züge der Wehratalbahn ein weiterer 2-achsiger Packwagen nach Schopfheim beordert.

Die Direktion in Karlsruhe ließ sich auch weiterhin nicht dazu bewegen, die Anordnung B 19 Bb 40 v. 19.5.22 zurückzunehmen, obwohl von verschiedenen Stationen weitere Klagen über Unregelmässigkeiten und Erschwernisse bei nötigen Rangierarbeiten eingingen. Vielmehr waren ab 1. Oktober 1923 alle Personenwagen mit elektrischer Zugheizung ausgerüstet, so dass auch während der Wintermonate der Heizer eingespart werden konnte.

Am 4. Januar 1924 erging von Karlsruhe aus an die Betriebsinspektion Basel ein Schreiben, worin erwähnt wird, dass es mit der einmännigen Besetzung der elektr. Loks und der Verwendung des Zf als Beobachter bisher keinerlei Probleme gegeben habe.

"Die derzeitige Wirtschaftslage der Reichsbahn und die hierdurch gebotene äusserste Sparsamkeit verlangt dringend, dass nach diesen guten Erfahrungen nunmehr auch der einmännigen Besetzung der Güterzugloks näher getreten wird. Hierdurch würden 8 Heizer gespart werden, ohne Urlauber und Kranke". Man verweist auf die guten Erfahrungen aus der Rbd München, der Rbd Halle sowie auf die Lötschbergbahn, bei welcher der "Unterzeichnende" sogar persönlich vorsprach. "Was bei diesen Bahnen mit Strecken mit zum Teil weit grösserem Verkehr als auf der Wiesentalbahn möglich ist, müsste auch bei uns gehen", schreibt der "Unterzeichnende".

Und so wurde ab 1.2.1924 auf der Wiesen- und Wehratalbahn versuchsweise die einmännige Besetzung der Güterzugloks verfügt. Es wurde angeordnet, dass der Zugführer wie bei den Personenzügen während der Fahrt auf der Lok Platz nimmt, während auf den Stationen der Begleiter aus dem Zugspersonal (Bremser) zu stellen sei. In Basel begann man so langsam zu resignieren, was blieb den Baslern auch anderes übrig gegen die übermächtige Direktion in Karlsruhe? Doch diese brachte es "noch dicker".

Am 23. Januar 1925 ging wieder ein Schreiben aus Karlsruhe in Basel ein:

"Es ist die Frage aufgeworfen worden, inwieweit auf die Mitführung eines Gepäckwagens in Güterzügen verzichtet werden kann. Wir ersuchen um umgehende Prüfung dieser Frage und um Mitteilung, welche Zuggattungen für diese Maßnahmen in Betracht kämen und wie die Bedenken gegen die Unterbringung der Signalmittel, Zuggeräte, Frachtbriefe und der vom Zugbegleitpersonal zum persönlichen Gebrauch mitgeführten Gegenstände behoben werden könnten".

Zu diesem Fall wurde die Station Basel Bad Rbf, für das Güterzugs-Begleitpersonal zuständig, gehört. Von dort wurde berichtet:

"Nach Ansicht des Zugbegleitpersonals kann auf die Mitführung eines Gepäckwagens in den Güterzügen mit elektr. Lok im Wiesental nicht verzichtet werden" und begründet es wie folgt: "Während der Fahrt befindet sich der Zf als Beobachter auf der Lok und der Güterschaffner (Ladeschaffner) hält sich im Gepäckwagen auf. Der Güterschaffner hat die Papiere für die Stückgutwagen zu verlesen, ein Geschäft, das Platz in Anspruch nimmt. Beim Wegfall des Pw müsste auch der Ladeschaffner auf der elektr. Lok Platz nehmen. Der Platz daselbst ist jedoch sehr beschränkt; keinesfalls hätte er Gelegenheit, Papiere zu verlesen. Auch in einem Bremshaus kann diese Arbeit nicht bewältigt werden. Das Personal ist 10-12 Stunden unterwegs und muss im Packwagen sein Essen wärmen, im Sommer auf Gasherd, im Winter auf dem Ofen im Pw. Es müsste ihm anderweitig Gelegenheit zum Wärmen des Essens geboten werden. In Zwischenpausen hält sich das Personal im Pw auf und trocknet daselbst im Winter seine nassen Kleider. Bei einem Wegfall der Pw müssten auch die Signalmittel und Zuggeräte allgemein auf der elektr. Lok untergebracht werden, woselbst jedoch hierfür wenig Platz vorhanden ist. Das Zbg müsste die zum persönlichen Gebrauch mitgeführten Gegenstände mit in die Bremshäuser nehmen, was an sich möglich wäre. Allerdings würde es dann wohl öfters vorkommen, dass die Gegenstände beim Abstellen der Wagen im Bremshaus liegen bleiben und der Abmangel erst später bemerkt werden würde. Es bestände die Gefahr, dass in solchen Fällen der eine oder andere Gegenstand spurlos verschwinden könnte. Bei Nah- und Stückgüterzügen kann u.E. der Pwg nicht entbehrt werden".

Die Betriebsinspektion Basel schickte vorstehende Antwort aus Basel Rbf am 30. 01.1925 wörtlich nach Karlsruhe und fügte ergänzend noch folgendes hinzu:

"Die Nah- und Stückgüterzüge sollen zur Kleinvieh, - Expressgut- und Eilgutbeförderung mitbenützt werden, was beim Wegfall des Packwagens nicht mehr möglich wäre. Endlich wäre zu bemerken, dass die ausfallende Zugführer-Bremse (Handbremse des PW) durch eine an die Luftbremse angeschlossenen Packwagen zu ersetzen ist. Es könnte kein Bremser eingesetzt werden. Die seitherige Einsparung eines Heizers ist eben in Wirklichkeit nur auf Kosten des Zugbegleitpersonales möglich. Wir kommen daher zu dem Schluß, dass der Packwagen bei den Nah- und Stückgüterzügen der Wiesen- und Wehratalbahn nicht entbehrt werden kann, und andere Güterzüge kommen auf diesen Strecken nicht in Frage."

Aufgrund dieser Antwort an die Direktion der Deutschen Reichsbahn-Gesellschaft in Karlsruhe hat man die Einsparung des Packwagens in Güterzügen dann anscheinend doch nicht vorgenommen. Jedenfalls ist in den Akten der nachfolgenden Jahre darüber nichts mehr zu finden. So langsam kehrte anschließend etwas Ruhe an der "Bemannungsfront" ein.

Am 9.9.1925 genehmigte die Betriebsinspektion in Basel - vermutlich ohne den offiziellen "Segen" aus Karlsruhe - dass bei den Güterzügen anstelle des Zugführers auch der 2. Bremser auf der Lok mitfahren könne. Es dauerte bis zum 19. April 1926, bis dies die Direktion merkte und natürlich sofort untersagen wollte. Auch sollte der 2. Bremser gänzlich zurückgezogen werden, da er, wenn er sich auf der Lok aufhalten könne, zur Zugbegleitung nicht gebraucht werde.

Basel, auf der Seite seines Personals stehend, schrieb wieder einen geharnischten Brief nach Karlsruhe und teilte mit:

"der Auftrag ist nicht durchführbar, ohne den Fahrplanvollzug empfindlich in Frage zu stellen".

Mit dieser Antwort aus Basel war diese Angelegenheit somit anscheinend erledigt. Auch für die Zugführer dürfte sich die Lage mit der Inbetriebnahme der neuen "Einheits-Wechselstromtriebwagen" (ElT) Nr. 1827 und 1849 am 28. September 1935 wesentlich entspannt haben.

Am 9. Januar 1928 teilte das Reichsbahn-Maschinenamt in Freiburg mit, dass nunmehr sämtliche elektrische Güterzuglok mit Luftpressern entsprechender Leistung sowie mit Zusatzbremse versehen sind und das Personal in der Bedienung der Bremse eingeübt sei, so dass die Güterzüge der Wiesen- und Wehratal von jetzt ab mit Luftbremse gefahren werden können.

Ab 16. Januar wurde dann bei allen Güterzügen im Wiesen- und Wehratal der Luftbremsbetrieb eingeführt.

Das Thema "Einmannbesetzung" taucht letzmals 1939 in den Akten auf, als die Reichsbahndirektion Breslau an alle Direktionen mit elektr. Zugbetrieb eine Umfrage betr. Einmannbesetzung der elektrischen Lokomotiven beim Rangieren richtete. Aus Basel berichtete man damals nach Karlsruhe, dass als Lokbegleiter auf elektrischen Lokomotiven bei Reisezügen die jeweiligen Zugführer, den Güterzügen besondere Bedienstete beigegeben sind.

Spätestens mit Einführung der Sicherheitsfahrschaltung (Sifa) auf den elektr. Lokomotiven dürfte das Thema zumindest für die Wiesen- und Wehratalbahn gänzlich erledigt gewesen sein.

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