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Die Elektrifizierung

der

Wiesen - und Wehratalbahn

Schlußfolgerungen

Bei den Untersuchungen zur Einführung des elekrischen Betriebs auf der Wiesen- und Wehratalbahn kam die Badische Staatsbahn im März 1906 zu folgenden Schlußfolgerungen:

Die Einführung des elektrischen Betriebes auf der Wiesentalbahn wird der Eisenbahnverwaltung Gelegenheit geben, auf diesem Gebiete die erforderlichen Erfahrungen zu sammeln.

Das Vorgehen hinsichtlich der weiteren Ausdehnung dieser Betriebsweise muß in erster Linie davon abhängig gemacht werden, ob nicht aus Gründen militärischer Natur die Beibehaltung der Dampflokomotiven auf den in Betracht kommenden Strecken geboten ist. Wird diese Frage verneint, so ist in jedem einzelnen Falle durch eine eingehende Prüfung festzustellen, ob durch den elektrischen Betrieb der wirtschaftliche Erfolg auch vollkommen gesichert ist und ob der elektrische Betrieb die nötige Gewähr für die Regelmäßigkeit und Sicherheit im Verkehr der Züge bietet.

Aufgrund der auf der Wiesentalbahn gemachten Erfahrungen wird die Badische Eisenbahnverwaltung in die Lage versetzt, ihrem weiteren Vorgehen eigene Betriebsergebnisse zugrunde zu legen. Sie wird dann nicht mehr lediglich auf die Erfahrungen anderer Verwaltungen angewiesen sein, die im allgemeinen auch nicht ohne weiteres auf ihre Verhältnisse übertragen werden können.

Bei Einführung des elektrischen Betriebes auf der Wiesentalbahn ist deshalb die Möglichkeit einer weiteren Ausdehnung des elektrischen Betriebs insofern Rechnung zu tragen, als für diese Bahn ein System anzuwenden ist, das mit hoher Spannung im Fahrdraht arbeitet, so daß es größere Strecken zu beherrschen gestattet und damit für mehrere Linien einen einheitlichen Betrieb ermöglicht.

Die auf der Strecke Marienfelde - Zossen von der Studiengesellschaft für elektrische Schnellbahnen vorgenommenen Versuche haben hauptsächlich nur Bedeutung für große Städte, die durch den Schnellverkehr einander näher gebracht werden sollen.

Bei der Einführung des elektrischen Betriebes auf gewöhnlichen Vollbahnen handelt es sich weniger um die Erzielung hoher Geschwindigkeiten, als um die Einführung dieser Betriebsweise im Rahmen der bestehenden Verhältnisse unter weitgehender Beibehaltung des vorhandenen Wagenparks und um Erzielung größerer Wirtschaftlichkeit. Der Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit muß den Ausschlag geben. Die Wirtschaftlichkeit kann auch für einzelne Vollbahnstrecken mit lebhaftem Verkehr nur dann als erwiesen betrachtet werden, wenn der Bezug der erforderlichen Energie zu einem sehr billigen Preis möglich ist.

Für die Frage der Wirtschaftlichkeit des elektrischen Betriebs auf Vollbahnen kommen auch die weiteren Erfolge der Elektrotechnik in Betracht, die ohne Zweifel zu erwarten sind, nachdem diese in den ersten 20 Jahren ihrer Entwicklung so Außerordentliches geleistet hat. Dabei darf aber nicht unterstellt werden, daß die Einrichtungen, die jetzt für den elektrischen Betrieb einer Vollbahnstrecke geschaffen werden, bereits nach kurzer Zeit besseren und vollkommeneren weichen müssen, denn die Elektrotechnik ist jetzt schon in der Herstellung von Maschinen und Apparaten hinsichtlich des Nutzeffektes bis nahezu an die Grenze des überhaupt Erreichbaren gelangt. Die Generatoren und Motoren arbeiten mit einem Nutzeffekt von 95 %, die Transformatoren von 98 %. In dieser Hinsicht ist durch weitere Verbesserungen nicht mehr viel zu erreichen. Es ist aber anzunehmen, daß sich die Erfindertätigkeit hauptsächlich der besseren Ausgestaltung der Systeme elektrischer Bahnen und der Vereinfachung der Anlagen zuwendet, auf welchem Feld noch mancher Vorteil zu erringen ist.

An der Vervollkommnung der Akkumulatoren, die eine Aufspeicherung der elektrischen Energie ermöglichen, wird stetig weitergearbeitet, um das längst erstrebte Ziel zu erreichen, das bezweckt, einen Apparat von möglichst geringem Gewicht, aber möglichst hoher Kapazität zu schaffen. Bis jetzt war es nicht möglich, den Bleiakkumulator aus dem von ihm beherrschten Gebiet zu verdrängen, obgleich hierzu die größten Anstrengungen gemacht wurden. Daß die Akkumulatoren als transportable Energiespeicher zur Herstellung von selbstfahrenden Lokomotiven und Wagen im Vollbahnbetriebe werden in wirtschaftlicher Weise verwendet werden können, muß bei dem derzeitigen Stand der Technik bezweifelt werden, denn durch die Umwandlung der elektrischen Energie in chemische und deren Rückbildung wird unter alllen Umständen ein Verlust von 40-50% entstehen, und es liegt deshalb nahe, den Elektromotoren der Lokomotiven den elektrischen Strom möglichst direkt, d. i. mit Hilfe einer Fahrleitung, zuzuführen. Dazu kommt aber noch, daß durch Verwendung von Akkumulatoren im Zugförderungsdienst bei der Konstruktion des Fahrplans immer Schwierigkeiten entstehen müssen, da deren Wiederaufladung eine Zeit von 2-3 Stunden in Anspruch nimmt.

Karlsruhe, im März 1906.

Großh. Generalirektion der Bad. Staatseisenbahnen.

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