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Badische Zeitung vom Donnerstag, 20. Oktober 2005

Wehrabahn im Zug der Zeit

Gemeinderat will auf Reaktivierung der Strecke Schopfheim-Bad Säckingen drängen

Von unserem Redakteur Willi Adam

WEHR. Die Stadt Wehr will sich dafür einsetzen, dass auf der Wehratalbahn in absehbarer Zeit wieder Züge fahren. Voraussetzung ist, das Projekt beim Land politisch durchzusetzen und für eine Aufnahme in Investitionsprogramme zu sorgen. Bis zur Klärung der Finanzierung soll die alte Bahntrasse frei gehalten werden. Der Gemeinderat folgte am Dienstagabend den Empfehlungen des Nahverkehrsexperten Ulrich Grosse, der gute Chancen für eine Zugverbindung durchs Wehratal sieht. Allerdings müssten dafür 60 Millionen Euro investiert werden.

Was vor einem halben Jahr noch wie eine Schnapsidee klang, entpuppt sich nun als eine klar umrissene politische Zielvorgabe: Die Wehratalbahn hat bei entsprechenden Investitionen verkehrstechnisch glänzende Perspektiven. Ursprünglich wollten sich die Landkreise Waldshut und Lörrach sowie die Städte Wehr, Bad Säckingen und Schopfheim mit einem Gutachten nur rückversichern, ob die Trasse der seit mehr als 30 Jahren still gelegten Wehratalbahn tatsächlich frei gehalten werden muss, oder ob Grundstücke anderweitig vermarktet werden können. Was der anerkannte Experte Ulrich Grosse am Dienstagabend im Wehrer Gemeinderat zu dieser Frage vortrug, überzeugte die Stadträte restlos. Die Wiederinbetriebnahme der Strecke zwischen Schopfheim und Bad Säckingen scheint realistisch. Mehr noch: Auf lange Sicht würde diese Querspange zwischen Hochrhein- und Wiesentalbahn sich geradezu aufdrängen.

Grosse macht seine Überlegungen an den Entwicklungen auf der Wiesental-Strecke fest. Dort sei es gelungen, mit der Regio-S-Bahn ein Verkehrsangebot zu schaffen, das "hochgradig intelligent" sei. Mit verlässlichem Takt verkehren zwischen Basel und Zell sowie zwischen Weil und Steinen attraktive Züge, für die es günstige Tarife gibt. Auf dem Abschnitt zwischen Lörrach und Steinen ergibt dies einen Viertelstunden-Takt, sonst fahren die Züge alle halbe Stunde - und zwar immer zur gleichen Minuten-Zeit. So müsse sich kein Kunde mit Fahrplänen befassen. Ein weiteres wichtiges Kriterium sei, ein möglichst dichtes Netz an Haltestellen zu bauen. Und schließlich sei modernstes Zugmaterial auf den Linien elementar. Dies sei im Wiesental mit den derzeit in Dienst gehenden neuen Flirt-Zügen erreicht. Weil das Angebot so gut angenommen werde, fahren auf der Wiesentalstrecke jeweils zwei zusammengekoppelte Triebwagen in einem Zug.

Diese Voraussetzung ist für Grosses Überlegungen zur Wehratalbahn wichtig. Weil das Verkehrsaufkommen zwischen Schopfheim und Zell nicht mehr so groß ist und weil die modernen Züge sich quasi auf Knopfdruck entkoppeln lassen, plädiert Grosse dafür, in Schopfheim die S-Bahnen zu trennen und den einen Teil nach Zell und den anderen in Richtung Wehr fahren zu lassen. Auf diese Weise hätte die Wehratalbahn sofort einen Anschluss an eines der attraktivsten Nahverkehrsangebotes des Landes. Wehr wäre direkt mit Basel verbunden und aus Wiesentaler Sicht würde das dortige S-Bahn-System noch mehr Möglichkeiten eröffnen.

"Wir sind nicht in einer Märchenstunde." (Bürgermeister Michael Thater)

Der Gutachter legt mehrere Varianten vor, wobei er den größten Nutzen einer Lösung zuschreibt, die den Zugverkehr bis nach Bad Säckingen rollen lässt. Dafür müssten in Wehr beim Flienken und im Gewerbegebiet Hemmet zusätzlich zu den einstigen Bahnhöfen Wehr, Öflingen und Brennet neue Haltestellen eingerichtet werden. Außerdem wäre ein Halt in Wallbach (zum Anschluss an die Hochrheinstrecke in Richtung Westen) erforderlich. In Bad Säckingen müsste die Verbindung zu den schnellen Fernzügen gewährleistet werden. Diese durchgängige Verbindung würde Bad Säckingen direkter ans Oberzentrum Lörrach anbinden und Wehr mit Waldshut verbinden. Denkbar, aber weniger vorteilhaft, wäre laut Grosse auch ein Pendelverkehr zwischen Schopfheim und Bad Säckingen mit Anschlussmöglichkeiten an die Wiesental- bzw. Hochrheinstrecke.

Sowohl Grosse als auch Bürgermeister Michael Thater betonten, dass eine gute Nahverkehrsverbindung vermehrt auch als ein Standortfaktor betrachtet wird, der besonders bei gut ausgebildetem Personal eine Rolle spielt. Wie gerne die Bevölkerung umsteigt wenn das Angebot stimmt, zeigen laut Grosse auch vergleichbare Beispiele aus der Region Schwarzwald-Baar-Heuberg, wo einzelne Abschnitte ebenfalls nach 30 Jahren wieder in Betrieb genommen wurden. "Das Potenzial ist auf der Wehratalbahn auf jeden Fall da", betonte Grosse.

Allerdings brauche die Stadt dafür einen langen Atem. Die Bauinvestitionen bezifferte der Fachmann auf 60 Millionen Euro. Dafür müsste zunächst das Land politisch überzeugt werden. Anschließend bedarf es des Nachweises, dass das Projekt einen volkswirtschaftlichen Nutzen bringt. Erst dann sind Zuschüsse realistisch. Mindestens 15 Jahre, so schätzt Grosse, wird diese politische Umsetzung in Anspruch nehmen.

"Wir sind nicht in einer Märchenstunde", unterstrich Stadtoberhaupt Thater die Ernsthaftigkeit des Projekts. Aus Wehrer Sicht steht einer Forcierung des Themas nichts entgegen. Sprecher aller Fraktionen sagten ihre Unterstützung bei dem Vorhaben zu, das Bürgermeister Thater als "echten politischen Kraftakt" bezeichnet.

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